Gefangen in der schönen Blüte

Öffentlichkeitsarbeit

Die einheimischen Pflanzen sind an unsere Flora angepasst und umgekehrt. Exotische Pflanzen können teilweise auch von unserer Fauna genutzt werden, häufig sind sie aber absolut wertlos und manchmal sogar gefährlich.

«Ich habe diesen Frühling bei Ihnen zwei ‹Rosa Nachtkerzen› (Oenothera speciosa siskiyou) gekauft und mich richtig gefreut über die Bienenweide. Heute Abend habe ich leider an diesen 2 Pflanzen über 10 tote Taubenschwänzchen gefunden. Einige wenige konnte ich noch befreien. Die Nachfalter verfangen sich mit dem Rüssel in der Blüte und können sich nicht mehr selbst befreien.»

Totes Taubenschwänzchen in der Blüte der Rosa Nachtkerze. Foto: Daniela Hirst

Diese Email wurde an uns weitergeleitet mit der Frage: «Kann das sein?» Bis dahin war uns das Phänomen nicht bekannt. Eine kurze Internetrecherche zeigte dann allerdings schnell, dass die Problematik seit längerem bekannt ist. Bereits 2006 wird in einem deutschen Gartenforum detailliert und mit Fotos beschrieben, wie sich Taubenschwänzchen in den Blüten der Oenothera speciosa siskiyou verfangen und verenden. 2007 berichtet Bruno Didier im französischen Magazin Insectes von den «fleurs cruelles» und namentlich von den zwei amerikanischen Nachtkerzenarten Oenothera speciosa und O. berlandieri, die für Taubenschwänzchen und andere Nachtfalter zur Falle werden können. In der Schweiz wurde 2016 im Naturgarten-Branchenmagazin Bioterra berichtet und 2018 erschien auf der Plattform naturschutz.ch ein Artikel mit dem Titel «Lieber heimische als unheimliche Blumen wählen» in dem ebenfalls von dieser Nachtkerze abgeraten wird. Trotzdem wird die Pflanze weiterhin verkauft und das häufig sogar als «insektenfreundlich». Wieso ist das Wissen um diese Problematik nie bei den Verkaufsstellen angekommen?

Grafik aus der Publikation von Zlatkov und Beshkov 2018: a) noch lebendes Taubenschwänzchen b) totes Taubenschwänzchen c) aufgeschnittene Blütenröhre mit dem feststeckenden Rüssel d) Mikroskopaufnahme: Der gerillte Rüssel bleibt an den rückwärtsgerichteten Haaren hängen.

Im Jahr 2018 erschien eine wissenschaftliche Publikation, welche unter anderem den Ursachen der Falterfallen auf den Grund gingen. Zlatkov & Beshkov (2018) berichten aus Bulgarien vom genau gleichen Phänomen: Taubenschwänzchen bleiben mit dem Rüssel in den Blüten der Rosa Nachtkerzen hängen. Die mikroskopische Untersuchung ergab, dass der Grund dafür in den starken, haarartigen Strukturen in der Blütenröhre liegt. Auf der Suche nach Nektar stecken die Taubenschwänzchen ihren mit Querrillen durchsetzten Rüssel in die Blüten. Dabei verhakt sich der Rüssel in den rückwärtsgerichteten Haaren, wodurch das Herausziehen verhindert wird. Die Taubenschwänzchen scheinen sich häufig nicht selbst befreien zu können und sterben irgendwann an Erschöpfung. Auch bei anderen Nachtfaltern wurde beobachtet, wie sie in der Blüte hängen blieben, allerdings konnten sie sich in der Regel selbst wieder befreien. So funktioniert das vermutlich auch in Amerika, dem Herkunftsgebiet der Nachtkerzen: Die amerikanischen Nachtfalter sind an den Mechanismus angepasst, bleiben nur kurz in der Blüte hängen und können sich dann nach kurzer Zeit wieder selbst befreien.
Leider sind die zwei Nachtkerzen (Oenothera speciosa und O. berlandieri) nicht die einzigen «Taubenschwänzchen-Killerpflanzen». Aus Deutschland wird berichtet, dass auch die Mandevilla bzw. Dipladenia-Arten mit dem gleichen Mechanismus für Nachtfalter und insbesondere für Taubenschwänzchen zur Falle werden können. In Österreich berichtete sogar das ORF Vorarlberg über die Dipladenien als Taubenschwänzchen-Fallen. Auch die Dipladenia-Arten werden bei uns häufig verkauft. 

Totes Taubenschwänzchen in einer Dipladenia-Blüte. Foto Udo Steinhäuser

Als Reaktion auf die Erkenntnisse zu den Nachtkerzen haben wir mehrere Staudengärtnereien und Verkaufsstellen angeschrieben und gebeten, die zwei Nachtkerzen aus dem Sortiment zu nehmen. Etliche haben entsprechend reagiert, allerdings haben wir vermutlich noch nicht alle Verkaufsstellen erreicht. Wer diese Pflanzen im Verkauf sieht, könnte auf die Problematik hinweisen. 

“Der Verein NimS ruft alle Blumenverkaufsstellen auf die Nachtkerze Oenothera speciosa insbesondere die O. s. siskiyou, sowie Dipladenien aus dem Sortiment zu nehmen und Gartenbesitzer:innen diese Pflanzen zu entfernen!”

Das Beispiel zeigt einmal mehr: Wer die einheimischen Insekten fördern möchte, sollte das primär mit einheimischen Pflanzen machen. Wie alle anderen Schmetterlinge, benötigt das Taubenschänzchen vor allem zwei Dinge: Raupenfutterpflanzen und Nektarpflanzen als «Tankstellen» für die ausgewachsenen Falter. Die Raupen des Taubenschwänzchen fressen bei uns vor allem an verschiedenen Labkrautarten, aber auch andere Pflanzen aus der Familie der Rötegewächse (Rubiaceae) werden genutzt. Typischerweise werden die Eier in sonnigen, warmen Wiesen und Krautsäumen abgelegt. Als Falter brauchen die Taubenschwänzchen täglich fast das doppelte ihres Eigengewichts an Nektar. Diesen holen sie sich gerne an Gewöhnlichem Seifenkraut, Karthäuser-Nelken, Natternkopf, Primeln und weiteren einheimischen Blumen.

Zur Förderung von Taubenschwänzchen und anderen Schmetterlingen gibt es genügend einheimische Pflanzen. Hier eine Karthäusernelke (Dianthus carthusianorum).

Als Teil unserer Informationskampagne hat unser Geschäftsführer Jonas Landolt in einem Podcast des Pflanzenfreund mitgewirkt.

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