Wanzen in der Kulturlandschaft Burghölzli

 

Projekt
Burghölzli

Bei den Biodiversitätserhebungen 2012 im Rahmen des Projekts “Lebensraum Kulturlandschaft Burghölzli” wurden zwar etliche Artengruppen erhoben, allerdings nicht die Wanzen. Aus dem Grund haben wir Daniel Ballmer im Jahr 2025 den Auftrag gegeben die Wanzen im NimS-Perimeter zu erheben. Sein ausführlicher Bericht ist sehr lesenswert. Der nachfolgende Kurzbericht von Daniel kann hier auch als pdf heruntergeladen werden.

Was sind Wanzen?

Wanzen (Heteroptera) sind eine artenreiche Insektenordnung, zu deren nächsten Verwandten die Zikaden und Pflanzenläuse zählen. Alle Wanzen ernähren sich durch einen Saugrüssel und schlüpfen schon als sechsbeinige Miniaturausgabe ihrer Eltern aus dem Ei, haben also kein Larvenstadium. Die öffentliche Meinung über Wanzen ist schlecht, aufgrund einer Handvoll stechender oder unangenehmer Arten. Aber ein Grossteil der Arten lebt als harmlose Pflanzensauger oder als Jäger kleinerer Insekten, vor allem Blattläuse. Ihre Formen- und Lebensraumvielfalt ist enorm, so dass viele bekannte Wanzen gar nicht als solche wahrgenommen werden. Unter anderem zählen auch Wasserläufer (1. Bild), Rückenschwimmer oder der an ein Origami-Kunstwerk erinnernde «Platanenkäfer» – richtigerweise Platanen-Netzwanze – zu den Wanzen. In der Schweiz kommen schätzungsweise 1200 Arten vor, die Datengrundlage ist lückenhaft.

Krabbenspinne Gesicht

Schillerwanzenpaarung (Eysarcoris venustissimus)

© Christine Dobler Gross

Was wurde untersucht?

Im Auftrag des Vereins NimS kartierte ich im Mai, Juni und August 2025 die Wanzen auf zehn besonders artenreichen Flächen im Burghölzli-Gebiet. Wanzen wurden an Land und im Wasser mit Netzen gefangen, ausserdem auch mit Bodenfallen. Interessante Jungtiere zog ich auf. Auch Fotobelege von Christine Dobler Gross, Marianne Klug und Béatrice Gentsch wurden bestimmt. Die meisten Arten liessen sich nur unter dem Mikroskop identifizieren. Aufgrund der vorhandenen Literatur versuchte ich einzuschätzen, welche Arten speziell selten oder anspruchsvoll sein könnten.

Krabbenspinne gelb

Ginsterwanze (Piezodorus lituratus)

© Christine Dobler Gross

Was kam dabei heraus?

Ich fand insgesamt 162 Arten, von denen 26 mit hoher Wahrscheinlichkeit als selten gelten können. Ausserdem sind zwei invasive Arten darunter, die Marmorierte Baumwanze (Halyomorpha halys, 2. Bild) und die Amerikanische Kiefernzapfenwanze (Leptoglossus occidentalis, 3. Bild), sowie zwei weitere eingeschleppte Arten, die Platanen-Netzwanze (Corythucha ciliata) und die Italienische Halsring-Weichwanze (Deraeocoris flavilinea). Einige weitere sind Klimawandel-Profiteurinnen, die ihr Verbreitungsgebiet momentan stark erweitern. Zumindest das Sichelbein (Camptopus lateralis, 4. Bild) und die Weichwanze Lepidargyrus ancorifer wurden vor dieser Studie noch nicht oft, bzw. gar nicht im Kanton Zürich nachgewiesen.

Teilgebiet Artenzahl selten
Waldrand Buchenweg 38 3
Wynegghof und Tennisplatz 55 5
Burghalde 43 2
Nebelbach West 35 3
Nebelbach Ost (Lenggstr. 1-5) 38 2
Naturgarten Südstr. 98 52 4
Familiengärten Lengg 26
Biodiversitätsfläche Weineggstr. 37 3
Botanischer Garten 72 5
Epi-Klinik 68 5-6
Total 162 26

 

Der Botanische Garten und die Epi-Klinik stellten sich als die artenreichsten Gebiete heraus, wobei im Botanischen Garten die Trockenwiese am Ostrand, die Teiche und deren Ufer, die Ruderalfläche zwischen den Tropenhauskuppeln und der Mittelmeergarten besonders wichtig sind. In der Epi-Klinik beherbergen die alten Eichen und Linden, die zwei kleinen Ruderalflächen, die Biodiversitätsfläche südlich der zentralen Villa und die zahlreichen Trockenwiesen die meisten Wanzenarten. Der Naturgarten Südstrasse 98 und die Biodiversitätsfläche Weineggstrasse sind rundum artenreich. Ebenfalls eine bemerkenswerte Wanzenvielfalt lebt im Baumbestand am Nebelbach, in und um die Magerwiese am Waldrand Burghalde, sowie in den beiden alten Eichen westlich vom Waldrand Buchenweg.

Krabbenspinne gelb

Weichwanze (Closterotomus biclavatus)

© Christine Dobler Gross

Zielarten

18 Arten wurden aufgrund der Datenlage als Zielarten ausgewählt. Mit einem Asterisk markierte Arten haben besondere Priorität:

  • *Rösels Bodenwanze (Arocatus roeselii): Eine auffällig gefärbte, auf fruchtende Erlen spezialisierte Pflanzensaugerin, die aus Deutschland als sehr selten beschrieben wird. Lebt an zwei grossen Schwarzerlen am Nebelbach gefunden, zusammen mit der genauso spezialisierten Spitznase Oxycarenus modestus.
  • Weisspunkt-Bodenwanze (Melanocoryphus albomaculatus): mediterrane Art, die sich langsam nach Norden ausbreitet. In der Südschweiz nicht selten. Wurde von Marianne Klug in der Biodiversitätsförderfläche Weineggstrasse fotografiert.
  • Schwalbenwurzwanze (Tropidothorax leucopterus, 1. Bild): vollständig auf Schwalbenwurz spezialisiert und von Christine Dobler Gross auch an dieser Pflanze beobachtet, im Naturgarten Südstrasse 98.
  • Spitznase Oxycarenus pallens: Trockenwiesenart, in Deutschland selten, aber in Ausbreitung. Lebt hier in recht grosser Zahl auf dem Wynegghof, zudem auf der Biodiversitätsfläche Weineggstrasse und auf dem Epi-Klinik-Gelände.
  • *Glasflügelwanze Liorhyssus hyalinus: Diese Art ist bei uns stark an Wärmestandorte gebunden und zumindest in Deutschland selten. Ich fand zwei Exemplare an den heissesten Orten im Botanischen Garten und eines auf dem Wynegghof. Ob dieses Exemplar dort aufgewachsen oder zugeflogen war, liess sich leider nicht klären.
  • Baumwanze Eysarcoris aeneus: Lebt in feuchten, aber warmen Staudenfluren; in Deutschland selten, in Frankreich zerstreut. Im Projektgebiet fand sich ein einziges Paar, zwischen Nebelbach und Südstrasse.
  • Baumwanze Sciocoris macrocephalus (2. Bild): Eine gut getarnte Skabiosen-Spezialistin, die in Deutschland und in den nördlichen zwei Dritteln Frankreichs als selten gilt. Ich fand sie in der Trockenwiese am Nebelbach, im Naturgarten Südstrasse 98, im Naturschutzgebiet Burghalde und auf einer kleinen Ruderalfläche auf dem Epi-Klinik-Gelände. Die Art scheint zumindest hier recht gut vertreten zu sein.
  • Netzwanze Acalypta carinata: Lebt in feuchten Moospolstern in schattigen Wäldern, besonders auf Totholz. Ich fing ein Einzeltier in einer Bodenfalle am Südrand des Botanischen Gartens, im wechselfeuchten, halbschattigen, stark vermoosten Saum zwischen einer Baumhecke und einer Trockenwiese.
Krabbenspinne gelb

Marmorierte Baumwanze (Halyomorpha halys)

© Christine Dobler Gross

  • Wasserläufer Gerris gibbifer: Verbreitete, gebietsweise häufige Art mit einer Präferenz für nährstoffarme Gewässer. Im Projektgebiet wurde ein Exemplar gefunden, im Teich im Naturgarten Südstrasse 98.
  • Blumenwanze Cardiastethus fasciiventris: Ganze sieben Wanzenarten wurden ausschliesslich auf den beiden alten Stieleichen westlich vom Waldrand Buchenweg gefunden. fasciiventris ist nicht häufig und jagt kleinere Insekten auf Laubbäumen.
  • *Habichtskraut-Weichwanze (Hoplomachus thunbergii): Diese hübsch gemusterte Art wird praktisch nur an Habichtskraut-Beständen an mageren, heissen Ruderalstandorten gefunden. Hier fand ich gerade einmal zwei Exemplare, in den heissen, ruderalen Randbereichen des Parkplatzes im Nordosten des Epi-Klinik-Areals.
  • *Weichwanze Lepidargyrus ancorifer: Diese mediterrane Klee-Liebhaberin ist bis an den Oberrhein verbreitet und wurde in der Schweiz im Tessin und in der Region Basel festgestellt. Ich fand ein Tier, wenige Meter von einem Kleegras-Acker entfernt an einer Hecke auf dem Wynegghof. Ob sich die Art aus eigener Kraft hierhin verbreitet hat, oder ob sie mit Saatgut eingeschleppt wurde, lässt sich nicht abschätzen.
  • Brombeerwanze (Macrolophus rubi, 3. Bild): Jagt kleine Insekten in Brombeer- und Himbeerdickichten. Wird selten gefunden. Ich fand ein Exemplar neben einem Brombeerdickicht in der Baumhecke am Südrand des Wynegghofs.
  • *Weichwanze Heterocordylus erythrophthalmus: Von dieser Art sind europaweit nur wenige Funde bekannt. Jagt kleine Insekten, offenbar ausschliesslich oder vor allem auf Kreuzdorn. Ich fand ein einzelnes Tier in derselben Wildhecke wie die Brombeerwanze, aber an einer sonnigeren Stelle.
  • *Weichwanze Salicarus roseri: Spezialisiert auf fruchtende Weiden und weit verbreitet, aber ausserhalb von Nordeuropa nicht häufig. Nur einmal gefunden, in der Baumhecke in der Teilfläche Nebelbach West, in der viele Weiden wachsen.
  • Buckliger Schmalhans (Dicyphus constrictus): In Mittel- und Südeuropa gibt es nur wenige, zerstreute Funde im Hügel- und Bergland. Diese Wanze lebt teils räuberisch, teils an Pflanzen saugend an verschiedenen drüsigen Pflanzen, unter anderem im halbschattigen Westsaum der Biodiversitätsfläche Weineggstrasse.
  • Weichwanze Orthotylus prasinus: Ein Einzeltier fand sich an einer der alten Stieleichen vor den Personalhäusern der Epi-Klinik. Wird nicht häufig gefunden, was daran liegen könnte, dass sie besonders oft an Ulmen lebte, bevor diese von einer invasiven Pilzkrankheit dezimiert wurden.
  • *Raubwanze Pygolampis bidentata (1. Bild): Wurde 2006 von Christine Dobler Gross im Naturgarten Südstrasse 98 fotografiert. Weit verbreitet, aber sehr selten. Wie alle grossen, langlebigen Raubwanzen ist sie wahrscheinlich auf eine hohe Dichte von Beuteinsekten und auf schonend bewirtschaftete Lebensräume angewiesen.
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Weichwanzen (Dicyphus globulifer)

© Christine Dobler Gross

Empfohlene Massnahmen

Allgemein sind im Projektgebiet zwei Lebensräume recht selten:

  • Feuchtgebiete wie Teiche und frei fliessende Bäche, mit grosszügigen Uferbereichen, Sumpf- und Überlaufzonen
  • Sonnige, magere und trockene bis wechselfeuchte Ruderalflächen, wie zum Beispiel artenreiche Gründächer, kiesige Teichufer oder Magerbeete; diese fördern zum Beispiel die Ginsterwanze, Piezodorus lituratus, auf dem 2. Bild.

Von diesen Lebensräumen sollten im ganzen Gebiet dringend mehr geschaffen werden, auch in Privatgärten. Weitere Massnahmen, die sich in Gärten gut umsetzen lassen:

    • Alte Bäume bewahren und weitere grosse Bäume alt werden lassen, vor allem einheimische Laubbäume.
    • Artenreiche Blumenwiesen anlegen und schonend mähen: mit Sense oder Balkenmäher, 8-10 cm über dem Boden, und nie alles auf einmal. Fettwiesen zwei- bis dreimal im Jahr mähen. Mager- und Feuchtwiesen nur einmal, im Spätsommer/Herbst. Das Heu immer ein paar Tage trocknen lassen, dann abtragen.
    • In Beeten und Hecken vor allem auf einheimische Stauden und Sträucher setzen, auf Arten von anderen Kontinenten am besten ganz verzichten (fördern oft invasive Wanzen).
    • Im Garten keinerlei Gift einsetzen – nicht nur Insektizide, auch Herbizide, Fungizide und sogar für den Bio-Anbau zugelassene Mittel wie «Delfin» schaden der Insektenfauna. Gerade Arten wie die Weichwanze Closterotomus biclavatus, 3. Bild, die auf der Suche nach neuen Lebensräumen weit fliegen.
    • Keine Bäume von anderen Kontinenten pflanzen, die nahe mit einheimischen Bäumen verwandt sind – mit solchen Arten wurden bereits mehrere verheerende invasive Pilzkrankheiten eingeschleppt
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Brachwanze (Sciocoris macrocephalus)

© Christine Dobler Gross

Weiterführende Literatur

Deckert, J. & Wachmann, E. (2020): Die Wanzen Deutschlands. ISBN 978-3-494-01636-8.

Niedringhaus, R., Stöckmann, M. & Wachmann, E. (2020): Die Wanzen Deutschlands Teil 1. ISBN 978-3-939202-07-3.

Strauss, G. & Niedringhaus, R. (2014): Die Wasserwanzen Deutschlands.
ISBN 978-3-939202-05-9.

Lupoli, R. & Dusoulier, F. (2015): Les Punaises Pentatomoidea de France.
ISBN 978-2-9536661-1-3.

Ellis, W.N. (2001-2025): Leafminers and plant galls of Europe. https://bladmineerders.nl.

Wanzenvortrag

Wanzenvortrag

In diesem Vortrag wird uns Daniel Ballmer die faszinierende Welt der Wanzen näher bringen. Eine unglaublich Formen und Farbenvielfalt kombiniert mit einer spannenden Biologie!

Rubinjungfer

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Im Botanischen Garten scheint sich eine kleine Population einer stark gefährdeten Libelle etabliert zu haben.